Der altüberlieferte Typus des "Juden"

 

 

Der Anführer der berittenen Eskorte auf der Tegernseer Tabula Magna wird als "frommer Jude" dargestellt. Die Passion Christi wird in ursächlichen Zusammenhang mit der jüdischen Religion gebracht. Darstellung des heiligen Joseph am Portal der Kirche Maria Straßengel bei Judendorf in der Steiermark. Deutlich ist der trichterförmige Hut mit dem knaufartigen Aufsatz zu sehen, der die Figur als Juden kennzeichnet. Durch "Judenhüte" markierte bärtige Männer in wallenden Gewändern umtanzen das Goldene Kalb an der Westfassade des Domes zu Regensburg. Sie befinden sich, wie die umgebenden Teufelsfratzen und die noch heute vorhhandene "Judensau" in gut sichtbarer Höhe über den Eingangsbereichen.

 

 

Die Kennzeichnung durch Judenhüte ist bereits bei den Passionsreliefs am Naumburger Lettner aus dem 13. Jahrhundert festzustellen. Die mit Schwert und Lanze nach Christus spürenden Häscher drängen sich tuschelnd aneinander, gestikulieren verstohlen, tragen bereits von ihrer Bosheit gequälte Gesichtszüge. Bei der Übergabe des Judaslohnes schieben sich Randfiguren von beiden Seiten heimlich flüsternd an die Gruppe. Die langen Mäntel umhüllen die verschwörerisch eng zusammengerückten Figuren. Wie auf Kaulbachs Gemälde oder der Regensburger Figurengruppe wird ein Zusammenhang zwischen dem Judentum und Geldmünzen suggeriert.

 

 

Die große Kreuzigungstafel in Oberbergkirchen könnte aus der ursprünglichen Ausstattung der Franziskanerkirche in Salzburg stammen. Die Anlage beabsichtigt Fernwirkung vor einer großen Gemeinde. Mit  kräftigen Kontrasten und überplastischer Ausarbeitung wird eine volksnahe Typisierung angestrebt. Diese Art der  Judendarstellung entstellt  physiognomisch, verzerrt böswillig. Sie erscheint verhetzend breitenwirksam zugespitzt, wie die fast fünfhundert Jahre später entstandenen Karikaturen des Nationalsozialismus. Fremdes erscheint nicht mehr allein als undurchschaubar und gefährlich. Der verständnislose Blick beginnt, dem Gegenüber menschliche Züge abzusprechen  Hans Holbein, der Ältere will auf seinem Kaisheimer Altar die handelnde Person eindeutig dem Judentum zuordnen. Er setzt hebräisierende Schriftzeichen auf Kopfputz und  Schulter. Die  Beschneidung Christi gilt als jüdisches  Ritual, bei dem zum ersten Mal das Blut Christi vergossen wird. Die Männer auf der vielfigurigen Kreuzigung in der Sakristei der Kirche St. Maria in Törwang verkörpern zwei Feindbilder :  Türke mit weit ausladenden Turban und Jude sind schon von fern als Mitschuldige an der Hinrichtung des Gottessohnes zu erkennen.

Die entmenschlichten Visagen, umgeben von dicht wucherndem Kopfhaar und mächtigem Bartwuchs scheinen auf eine Typologie des Bösen zurückzugehen, die in der romanischen Bauplastik Bayerns ausgebildet wurde.

In einem nordfranzösischen Psalter, der vermutlich um 820/ 830 entstanden ist, tragen die vor dem Gekreuzigten postierten, mit Lanzen und Schilden bewaffneten Schergen nicht den Helm römischer Soldaten, sondern sind mit phrygischen Mützen bekleidet. Sie werden auf diese Weise als Orientalen kenntlich gemacht. Schon auf dem Mosaik, das in San Apollinare Nuovo in Ravenna die Heiligen drei Könige darstellt, werden die Weisen aus dem Morgenlande durch solche Hauben gekennzeichnet. Diese Kopfbedeckung ist auf der Kreuzigungsdarstellung nicht nur „orientalisches" Accessoire, sondern Vorläufer des spitzen Judenhutes, des zwangsweise verordneten Kennzeichens der Juden im Mittelalter. Wahrscheinlich hat sich der „Judenhut", historisch aus der phrygischen Mütze entwickelt. Sie trägt auf einem Mailänder Goldblechrelief aus der Zeit um 850 auch der römische Hauptmann Stephaton, der die Durchführung der Kreuzigung kommandiert. In einem Evangeliar der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts und in der Elfenbeinschnitzerei eines um 900 entstandenen Buchdeckels trägt er die gleiche orientalisch verstandene Kennzeichnung. In einem wohl aus Bayern stammenden Manuskript des ausgehenden 11. Jahrhunderts sind Stephaton und Longinus eindeutig als Juden charakterisiert. Sie sind nicht mehr durch die phrygische Mütze, sondern bereits durch den konischen „Judenhut" markiert, der um diese Zeit gebräuchlich wird. Im 12. Jahrhundert werden solche Darstellungen häufiger. Das Mainzer Diözesankonzil von 1229 sowie die Provinzialsynode zu Breslau und das Wiener Konzil von 1267 beschließen, daß die Juden zuckerhutförmige, gehörnte Hüte ( pileum cornutum) oder Kappen zu tragen hätten.

Die mittelalterlichen Kleiderordnungen bieten willkommene Gelegenheit zur verächtlichen Ausgrenzung. Auffällige Markierungen werden festgelegt, um jüdische Mitmenschen weithin sichtbar bloßzustellen. Die Ofener Kirchenversammlung von 1279 setzt ein Rad von rotem Tuche fest, das auf dem Oberkleide als unterscheidendes Zeichen auf der linken Seite der Brust getragen werden soll. Nach den spanischen Bestimmungen von 1412 müssen Jüdinnen lange Kleider aus grobem Stoffe tragen, auf denen das rote Zeichen angebracht ist. Für den Kirchenstaat erläßt Paul IV. 1555 die Verordnung, daß Juden grüne Barette, Jüdinnen grüne Schleier tragen müssen. Für die „Judenhüte" wird von den Obrigkeiten eine orangegelbe Farbe mit weißem Rand oder weiß mit gelbem Rand vorgeschrieben. 1434 wird den Augsburger Juden geboten, vorn an ihren Kleidern gelbe "Ringel" zu tragen. 153o wird diese Verordnung auf ganz Deutschland ausgedehnt. Viele Jüdinnen kleiden sich deshalb ganz gelb, damit das Kennzeichen nicht so sehr auffällt. Frauen müssen spitze Schleier tragen.

Die gelbe und scharlachrote Schandfarbe wird noch heute verwendet, um "Juden" bei der "Stummen Prozession", die alljährlich am Sonntag nach Mariä Himmelfahrt in Vilgertshofen stattfindet, zu kennzeichnen.