Mohren im Musentempel


Fred Wilson gestaltet den amerikanischen Pavillon der Biennale


Die bildnerische Vertretung, der musische Auftritt der Vereinigten Staaten im alten Europa, in den Gärten der Biennale von Venedig wurzelt auf einer künstlichen Insel. Ihr Boden stammt vom Grund der Lagune, der ausgehoben wird, um eine Fahrrinne für große Dampfer im Becken zwischen der Stadt und den Inseln von San Giorgio und Giudecca zu schaffen. Das weißmarmorne Herrenhaus wacht nicht über endlose Plantagen, Kettensträflinge und Bluthunde. Es fußt auf einer sanften Anhöhe inmitten üppigen mittelmeerischen Grüns. Um eine Säulenhalle gruppieren sich Räume mit künstlerischen Spitzenleistungen, in denen ein Afroamerikaner den Europäern zu denken gibt.


dorisch.jpg (40174 Byte)

gruenelaterne.jpg (40584 Byte)

rechteck.jpg (41290 Byte)


Die Herrschaftsarchitektur des amerikanischen Pavillons ist weit gereist. Die nobel ragende Säulenvorhalle ist auf Umwegen abgeleitet aus den Villenfassaden der Patrizier im Hinterland Venedigs. Die Baugedanken des Andrea Palladio gehen von den grünen Hügeln um Vicenza über auf englische Landsitze. Die Grundherren der Neuen Welt übernehmen mit ihrem „Greek Revival“ Formen bürgerlicher Selbstdarstellung aus der italienischen Renaissance, die ihrerseits Giebeldreieck und Säulenreihe den antiken Kultbauten entlehnt. Die zweiflügelige Anlage steht auf betoniertem Fundament. Die Ziegelwände sind unverputzt. Triglyphen und Guttae sind aus Steinguß, aus dessen abgeplatzten Fehlstellen die dunkel rostige Armierung lugt. Über den fensterlosen Ausstellungsräumen sind Oberlichten angebracht, die von einer Attika verdeckt werden. Die Kuppel ist mit schwarzer Teerpappe überzogen.


Fred Wilson benutzt die Karyatiden vom Grabmal des Dogen Giovanni Pesaro, packt die übermächtigen, zerlumpten Mohren zwischen die vier dorischen Säulen unter den Architrav des marmornen Portikus auf der Biennale 2003. Die Sklaven aus der Frarikirche sind zur luftigen Fototextilie geworden. Die schwarzen Männer wuchten kein barockes Wandgrab mehr im geheimnisumwitterten Dämmerdunkel der franziskanischen Grabkirche. Die muskelstrotzenden Kolosse wehen federleicht im sommerlichen Hauch. Die Ausstellung kümmert sich um Assistenzfiguren, wie sie von den Künstlern zur Ausschmückung ihrer großen Werke benutzt werden. Sie beachtet die untergeordnete bunte Staffage, die eingesetzt wird, um den großen Bildaufbau abzurunden, die sinnige Komposition zu beleben. Veronese verwendet schwarze Diener in seinen Gemälden wie absichtslose Farbtupfer, beiläufige Kunstgriffe zur Ausschmückung, wie es üblich ist, „per adornamento, come si fa“. Wilson forscht nach, um den nebensächlichen, leicht zu übersehenden Schattengestalten ihren Namen zurückgeben zu können. Er deckt ihre großartige Umgebung ab, dämpft die Wirkung der Hauptfiguren. Er hebt das dunkelhäutige Beiwerk eigens mit Lichtinstallationen hervor, um aus den exotischen Sinnbildern des herrschaftlichen Luxus unterscheidbare Individuen zu schaffen. Dabei sieht er sich nicht als Vertreter eines gegenläufigen „race“-Standpunktes. Wilson tritt nicht mit großer Geste auf die Seite der Unterdrückten, spielt sich nicht als ihre rächende Geistesgröße auf. Er vertritt eine gewandte, lichtvolle Regsamkeit des Verstandes, wie sie sonst oft von der finster kultisch bestimmten Überlieferung des Museumswesens, der archivalischen Willkürherrschaft verraten wird.


maskengesicht.jpg (39819 Byte)

lichteffekt.jpg (39434 Byte)

vierer.jpg (39552 Byte)


Der überseeische Bildhauer, der wohlunterrichtete Kunstkenner, dessen Bildungsweg in der Bronx beginnt, betont seine politische Verantwortung. Er will sich deutlich ausdrücken, zweifelsfrei verstanden werden. Er nutzt alle technischen Möglichkeiten, scheut nicht vor lehrhaften Aussagen zurück. „Ich achte sehr genau auf blinde Flecken, die sich aus rassistischer Wahrnehmung ergeben. Leute am Rand, die von der Mehrheit nicht gesehen werden, interessieren mich sehr. Wie die allgemeine gesellschaftliche Aufmerksamkeit diesen Dingen verweigert wird, geht weit über Rassismus hinaus.“1 Die Mittel der Bildhauerei wie der modernen Medien dienen, um zum Nachdenken anzuregen. Die Mohren Venedigs werden aus der Kunstgeschichte herausgearbeitet. Ihre Spuren finden sich im Pfingstwunder in der Pala d' Oro. Die Verbindung von schwarzer und weißer Figur bedeutet die Vielfalt der Völker, die anfängt von feurigen Zungen ergriffen zu sprechen.2


vitrine01.jpg (40890 Byte)

vitrine02.jpg (39206 Byte)

vitrine.jpg (39788 Byte)


In der Zenokapelle wird der heilige Markus seinem Martyrium in Alexandria von einem Schwarzen geschlagen. In der Vorhalle der Markuskirche ist in einer Darstellung aus dem 13. Jahrhundert, der unbeseelte, von der Erde genommene Körper des Adam noch schwarz. An der Südfassade der Markuskirche wird um 1300 ein Schwarzer von einem Drachen verschlungen. Die „Mori“, zwei dunkel patinierte, bronzene „Wilde Männer“ schlagen auf dem Uhrenturm die Stunden.3 Der „Melchior“ von Palma Vecchio in der Kirche der heiligen Helena darf nicht vergessen werden.4 Beim Kreuzeswunder des Vittore Carpaccio versieht ein schwarzer Gondoliere seinen Dienst.5 Paolo Veronese malt für das „Fest im Hause des Levi“ in der Accademia neun afrikanische Figuren.


Der afroamerikanische Zeitgenosse scheint sich nach dem 11. September im „tile room“ zwergengleich in ein außen schwarz gestrichenes Tongefäß zurückzuziehen. Während ringsum die Welt unversöhnlich in Schwarz und Weiß zerfällt, packt er seine persönliche Habe in ein rundes Behältnis aus handgeformtem, rot gebranntem Lehm. Die winzige Behausung ist ausgestattet mit Leselämpchen, kleinem Flachbildschirm, Kunstliteratur, einer frischen Hose, einer Liegematte. Der Ort bietet Zuflucht in einer Zeit sich zuspitzender Widersprüche. Wie die schwimmende Rettungsinsel gescheiterter Seefahrer treibt das handgeformte Gefäß über das endlose Meer aus scharfkantig unversöhnlichen Gegensätzen. Die Wände in diesem Kachelraum sind grau getönt. Die Installationen stellen in unendlicher Wiederholung schonungslose Sprünge der Helligkeit gegenüber. Schwarz und Weiß reihen sich unvermittelt, unversöhnlich, mit sauberen Schnittkanten. Nur in den Reflexen versöhnen sie sich, tauschen in den blanken, glasierten Oberflächen ihre Bilder, treiben ein geheimes doppeltes Spiel mit dem Licht.


tileroom01.jpg (36896 Byte)

tileroom.jpg (40541 Byte)

tileroom03.jpg (41002 Byte)


Wilson verdunkelt das Oberlicht über dem Raum mit den Skulpturen, hellt mit schmalen Streifen des Himmelslichtes auf, setzt spotlights, um die Objekte hervorzuheben. Der angrenzende Raum wird matt und diffus von oben erhellt. Die Einfassungen und Sprossen der Fenster sind dunkelrot gefaßt. Über dem Kachelraum ist die Decke gleichmäßig durchscheinend gehalten. In den schwarzen Fliesen scheint der übrige Saal wider. Die schwarzen Tränen bekommen den von weißem Kunststoffgewebe gedämpften Sonnenschein, der durch die darüber streichenden Bewegungen der Zweige und Äste des Gartens lebendig wirkt. Im schwarzen Glas der Tropfenformen zeichnet sich der weiß gestrichene Umraum ab. Schatten der Außenwelt, Schemen der Ausstellungsbesucher irrlichtern weitwinkelig verzerrt über die pechschwarz glänzenden Oberflächen.


terrazzo.jpg (39290 Byte)

fisheye.jpg (38965 Byte)

dachnetz.jpg (39940 Byte)


Das Zimmer der schwarzen Tränen bleibt weiß. Die kleinen Zähren wandern über die kalkige Wand wie rätselhafte Schriftzeichen. Gleich einem Fischschwarm streben sie in parallelen Bahnen einem fernen Ziel zu. Sie folgen einer gemeinsamen Richtung, schlängeln sich im Fallen abwärts. Die Tropfen zucken nicht, winden sich nicht aus ihrer einheitlichen Ebene. Das Licht züngelt durch das windbewegte Laub der Giardini, taumelt durch das Dachfenster, verfliegt sanft über den gläsernen Körpern. Die Farbigkeit wird vermindert. Der Raum scheint sich in die Extreme von Schwarz, Weiß und dazwischen aufziehender Grautöne zu spalten. Die glänzenden Kugelschalen der zu Boden gefallenen Tränen wirken wie Vexierspiegel, kurzbrennweitige Fischaugen. Die aufgesetzten weißen Augäpfel mit ihrer aufgetropften Iris wiederholen das Spiel. Die Welt verzerrt sich in ihnen. Wirklich Vorhandenes muß mitunter aus zugespitzten Abkürzungen erschlossen werden. Der Raumeindruck bleibt umfassend. Sich Näherndes vergrößert sich rasend schnell, verfliegt wieder zum winzigen Zeichen. Die Punktstrahler heben sich gestochen scharf ab. Sie bilden stecknadelkopfgroße Perlen in haarfeinen Lichterketten.


weltkugel.jpg (41543 Byte)

traenen.jpg (40644 Byte)

kronleuchter.jpg (39302 Byte)


Aufregende Durchblicke ergeben sich aus den Sichtachsen zwischen den benachbarten Raumfolgen. Wilson schafft Raumerlebnisse, deren Anlage nicht leicht zu durchschauen ist. Er stellt billige Nachahmungen in den Vordergrund, mischt wertvolle Originale unter einfache Reproduktionen. Er richtet moderne Ausstellungstechnik, die sonst zu Präsentationen in der Produktwerbung dient, mit didaktischen Absichten auf die Werke alter Meister. Der Künstler aus New York setzt die neuesten Errungenschaften aus dem Massachussetts Institute of Technology ein. Es gelingt ihm, europäische Kunst so fremd erscheinen zu lassen, daß sie erstaunt, zum Nachdenken einlädt.


feuerloescher.jpg (39096 Byte)

leuchter.jpg (39235 Byte)

flutsch08.jpg (41523 Byte)


Farben werden wohlüberlegt eingesetzt. Ein sonnenheiß aufregendes Orange überrascht im Eingangsraum. Es paßt zum Gewand des Mohren, der die Erdkugel anstelle seine Kopfes trägt. Die vornehme Kühle des Kuppelraumes mit dem kreisrunden Oberlicht wird gebrochen. Statt zurückhaltend sachlichem Weiß schlägt dem Besucher tropische Hitze entgegen. Der aus schwarzem Muranoglas gefertigte Kronleuchter findet die günstigste Gelegenheit, seine unergründliche, vielfach symmetrische Pracht zu entfalten.


Im Pavillon mischen sich unterschiedliche qualitative Höhenlagen in wilden Sprüngen. Das einfühlsame, sorgfältig beobachtende Porträt des Lazzaro Zen von Francesco Guardi aus dem Jahre 17706 steht neben abfälligem Mohrenkitsch und massenhaft verbreitetem Exotikschund. Originalgemälde und fotografische Abbildungen hängen unvermittelt nebeneinander. Die „schwarzen Tränen“ und der „schwarze Leuchter“ sind Sonderanfertigungen aus Muranoglas nach den Vorgaben Wilsons. Werden sie entwertet in ihrer Zusammenstellung mit geschmacklosen Einrichtungsgegenständen, die unterwürfige Schwarze zu treuen Lampenhaltern oder putzigen Beistelltischen erklären ?


stati07.jpg (38679 Byte)

stati08.jpg (39349 Byte)

guardi.jpg (39880 Byte)


Ein aus seiner Heimat nach Venedig verschleppter Mohrenknabe wird getauft. Sein Pate stammt aus einer der großen Familien der Serenissima. Der Edelmann spendiert seinem Schützling ein Porträt, auf das aus ölgemalter Höhe wohlgefällig die Himmelsmutter herunterlächelt. Francesco Guardi, der große Vedutist, fertigt ein einfühlsames Bildnis des festlich und kostbar Gewandeten, Dieser blickt mit großen, fassungslosen dunklen Augen auf die geballte fürsorgliche und religiöse Zuwendung, die ihn seiner Familie, seiner angestammten Heimat entrissen hat. Der Tätigkeit des Malers folgt der zum Stillhalten Verurteilte, mit wacher Aufmerksamkeit.


waitress01.jpg (40549 Byte)

gipserne.jpg (41258 Byte)

dachabdeckung.jpg (41455 Byte)


Im verdunkelten Ausstellungsraum herrscht sattes, lichtverzehrendes Blaugrün. Die hellen Teile der Ggegenstände heben sich kontrastierend vom Hintergrund ab. Das Gold funkelt, der Gips strahlt makellos und unnahbar. Die starken Lichtreflexe der Spotlights auf den schwarz lackierten Oberflächen blinken brillant. Die Brauntöne des Gemäldes von Guardi harmonieren mit dem tiefen Farbenklang der Wände. Der warme Farbton des Terrazzobodens wirkt als weich strahlende, angenehm belebte Fläche. Die eisigen Glanzlichter aus den Deckenstrahlern werden gemildert durch eine sanft ockerige, wie hautfarbene Aufhellung. Die Schatten am Boden zeigen, daß Wilson bewußt Helligkeitsschwerpunkte setzt, mit den Führungslichtern hart konturiert, markiert, Lichtkegel scharf umgrenzt. Der Mohr trägt ein rotes Wams. Aus seinen Handflächen ragen zwei Dübel. Ein Schachbrett, das an diesen Stellen vorher verleimt war liegt nun am Boden.

Fred Wilson weiß, wie Museen arbeiten, hat ihr Innerstes, ihre Bräuche kennengelernt. Er ist in ihre Depoträume hinuntergestiegen und zu der Überzeugung gelangt : „Was gezeigt wird, sagt eine Menge über das Museum aus; was nicht gezeigt wird, aber noch mehr.“7 Der gelernte Museumspädagoge weiß aus eigener Erfahrung, wie der Anschein von unumstößlicher Wahrheit und unermeßlichem Wert herzustellen ist, der für gehörige Besucherzahlen sorgt. Einst mußten Kirchen ewig gültige Sätze verkünden, fanden Priester unbedingten Glauben, wurden religiöse Schaustellungen als Offenbarung aufgefaßt. Wilson kennt die Leichtfertigkeit, mit der die Besucher den heutigen ästhetischen Kultstätten begegnen. Der versierte Kurator ist eingeweiht in die gebräuchlichen Verfahren, mit denen beim leichtfertigen Museumsgast verführerische Gewißheit, zahlungswillige Begeisterung herzustellen ist.


beleuchtung01.jpg (40071 Byte)

beleuchtung02.jpg (41306 Byte)

beleuchtung03.jpg (41898 Byte)


Das Pompejanischrot im Gemäldesaal unter dem mild strahlenden Atrium schafft weihevolle Stimmung. Die Bildwand mit den fotografierten Gemäldeausschnitten und Aufnahmen von Afrikanern in der heutigen Stadt liegt als Hauptsache gegenüber dem Eingang. Die drei Originalgemälde hängen an der Längswand, erwecken beim Betreten des Saales noch keine Aufmerksamkeit. Erst beim längeren Verweilen erweisen sie sich als Hauptsache, auf die Wilson mit ständig sich verändernden Lichtinstallationen Aufmerksamkeit lenkt. Die Lichtkegel geistern wie der Schein von Taschenlampen über die gefirnißten Gemälde, lassen den Besucher wie einen nächtlichen Eindringling vor den Meisterwerken stehen. Üppig vergoldete, geschnitzte Rahmen werfen bizarre Schatten auf die Wand. Der plötzliche Wechsel von Hell und Dunkel zwingt das Auge, sich dem Takt der Lichtregie anzupassen. Unvermittelt versinken die zuerst hervorgehobenen Partien der Gemälde in Finsternis. Das wandernde Suchlicht zwingt, die Aufmerksamkeit auf andere Einzelheiten zu verlagern. Vor den knapp bemessenen, eng umgrenzten Lichtereignissen verschwimmen die Betrachter flüchtigen Schattenwesen, die sich auf dem polierten Boden unstet spiegelnd auszumachen sind.


Die Methoden der Museumsdidaktik werden beispielhaft vorgeführt. Der Besucher kann hinter die Kulissen schauen. Das Handwerkszeug liegt offen. In kurzer Folge werden Muster für die Ausstattung verschiedener Räume gegeben. Wilson verfremdet Exponate, indem er sie ungemein tief aufstellt. Er begrenzt die Helligkeit scharf auf enge Lichtzonen, schafft helle Inseln und grell beleuchtete Korridore. Lichtkegel der Scheinwerfer zerschneiden das Museumszwielicht, während am andere Ende der Schau das Tageslicht gleichmäßig durch die Mattscheiben des Oberlichtes strömt. Der Pavillon empfängt in der feierlich hochgestimmten Repräsentationshalle, lädt in eine geheimnisvoll düstere Schatzkammer, gibt sich kühl in moderner Nüchternheit. Die erklärte Absicht wird fallweise unterlaufen, gebrochen durch eine widersprüchliche Farbigkeit, Aufregende Rottöne, alarmierendes Gelborange, kaltes Blaugrün stellt klar, daß die Faszination des Ausstellungsgutes erheblich von den Kunstgriffen des Kustoden bestimmt wird.


Wilson kümmert sich um den kulturellen Kontext, in dem Kunst gezeigt wird. Er hat in Westafrika studiert, Peru und Ägypten bereist,8 am Metropolitan Museum of Art, dem American Museum of Natural History und dem American Crafts Museum gearbeitet und weiß Bescheid über alle Kniffe, die zu einer zugkräftigen Aufmachung führen. Das Ausstellungsgeschäft ist ihm vertraut. Das heimliche Abdunkeln der Räume und lichtstarke Hervorheben des dargebotenen Kulturgutes gründet auf der bewußten Lichführung im christlichen Sakralraum. Die Verheißung der aufgehenden Sonne, die beunruhigende Verdüsterung der täglichen Dämmerung, das überirdische Leuchten und Schimmern des Tageslichtes in der durchfensterten Wand wird von den Baumeistern ehrwürdiger Bischofskirchen genauso absichtsvoll genutzt, wie vom modernen Ausstellungsmacher.


flutsch09.jpg (39464 Byte)

waitress02.jpg (41079 Byte)

flutsch06.jpg (41399 Byte)


Wilson hat Fotografie und Lichtgestaltung studiert9. Er nutzt seine Kenntnisse bei der Präsentation des Gesammelten, hebt hervor, setzt Führungslicht, hellt auf. Er zitiert Filme in seinen Installationen. Er verleiht stummen Bildern eine elektronisch erzeugte „Tonspur“, benutzt filmische Prinzipien im Umgang mit den von ihm gezeigten Gegenständen. Er greift zur Kontrastmontage, wenn er unter dem Oberbegriff der „Metallarbeiten aus dem 19. Jahrhundert“ getriebenes Silbergerät und Fußfesseln für Sklaven ausstellt. Der Künstler betreibt die „Aufwertung der Dingerscheinung“10, wenn er aus dem Porträt eines weißen Buben das Halsband seines zum Apportieren von Jagdbeute abgerichteten kleinen dunkelhäutigen Helfers hervorhebt. Der kritische „Kulturproduzent“11 verbindet Text und Bild neu, wenn er der harmlosen Idylle „Country Life“ den Namen „Frederik serviert das Obst“ gibt und die hilfreiche schwarze Randfigur zur Hauptperson erklärt. Der Bildhauer schärft die Aufmerksamkeit für Gleichzeitiges in der Parallelmontage, wenn er unter der Überschrift „Kunstischlerei“ einen Sessel aus dem Barock gegenüberstellt mit einem gleich alten Pfahl, an dem öffentliche Auspeitschungen vorgenommen wurden.12


Wilson entdeckt eine Störung, die dem Wesen des Kolonialismus widerspricht. Dieser behauptet, selbst rational und logisch zu handeln. Nur die „Primitiven“ glauben an die Kraft der an bestimmten Orte beheimateten Geister, an die Macht der zum Fetisch bestimmten Gegenstände. Der aufgeklärte, geistreiche Europäer hält auf die unbestechliche geradlinige Wirkung seiner Verstandesgaben. Dem blinden Glauben an die erleuchtende Wirkung der Ausstellungsstücke läßt sich mit einer Ironie beikommen, wie sie Wilson bei seinen „Environments“ benutzt.


flutsch03.jpg (39732 Byte)

flutsch01.jpg (39229 Byte)

flutsch02.jpg (39983 Byte)


Die starre Haltung, mit der aussagekräftige Kulturgüter aus dem Bewußtsein verbannt werden, spricht dem Selbstverständnis einer Kultur Hohn, die sich selbst für vernünftig hält. Wilson gelingt es, aus den unterirdischen, meterdick vermauerten Lagern der Museen an das Licht des Tages zu holen, was ohne ihn ewig zur unerhörten Leerstelle erklärt, verriegelt, weggesperrt bliebe. Indem er das Verdrängte hervorholt, straft er einen vorgeblich aufgeklärten Kulturbegriff Lügen. Eine Ereignismaschinerie kurbelt ihre altbewährten Kassenschlager und verschleiert, zensiert dabei das Wesentliche. Heute wird kein „Index“ mehr gedruckt, auf dem wenigstens die Überschriften des Unaussprechlichen, Verbotenen aufgereiht wären. Noch im Zeitalter des Internet bleiben Erwerbungsbücher, Inventare und Register des wohlweislich Ausgesonderten verborgen.


frau10.jpg (39761 Byte)

mike09.jpg (40110 Byte)

mike10.jpg (39254 Byte)


Gewitzt, ohne vorwurfsvolle Schärfe stellt Wilson einen Fetischismus im Umgang mit fremden Objekten bloß, der immer den „Naturreligionen“ vorgeworfen wurde. Tatsächlich steht das „Ende des Totemismus“ der abendländisch geprägten Kultur noch bevor. Wilson spielt mit der geheimen Priesterwürde, dem Schamanentum des modernen Ausstellungswesens, das anstelle der Religion noch Heilsgewißheiten anzubieten hat. Wilson wechselt Sprachstile unvermutet, schlägt schelmisch den wohlwollend hirtenhaften Tonfall bei der Litanei an, psalmodiert bei der Predigt. Er verwendet eine dem völkerkundlichen Schaustück zugedachte sachlich belehrende Vortragsweise für Werke der Gegenwartskunst, hebt Ethnologisches mit wenigen Kunstgriffen auf die höchste Ebene.

Wilson steht zuerst selbst am Rande des Kunstbetriebes, zeigt seine Projekte im öffentlichen Raum, wird lediglich von gemeinnützigen Organisationen unterstützt.13 Seit den Neunziger Jahren reihen sich Einzelausstellungen hauptsächlich in den Vereinigten Staaten. Beteiligungen reichen bis Warschau, Madrid, London, Rotterdam, Melbourne und Osaka. Im deutschen Sprachgebiet interessieren sich Hannover, Erfurt, Graz und Köln für Wilsons Schaffen.

guardi01.jpg (40900 Byte)

guardi08.jpg (40776 Byte)

frau02.jpg (38778 Byte)


Handelt der gebürtige New Yorker selbst wie ein venezianischer „buffone“, verwandt den Wilden Männern, Mohren, Schalksnarren, Monstren, Zwergen ? Er äußert sich in einer Reihe institutionskritischer Texte14 zum „Museum als Arena“, fragt nach den Wirkungen der historisch gewachsenen Ausstellungsorte auf die Wahrnehmung von Kunst. Wilson hantiert ungeniert, springt zwischen den sonst sorgsam geschiedenen Ebenen musealen Ausdrucks. Er montiert technische Gebrauchsgegenstände mit kunsthandwerklichen Serienartikeln zu Objekten. Heute gebräuchliche Handelsware afrikanischer Masken wird in „The Colonial Collection“ 15 in europäische Siegerflaggen gewickelt und zu „authentischen“ Prachtwerken, wahren Glanzstücken des Museumsbetriebs stilisiert. Die Umstände der Präsentation werden regelrecht fingiert. Eine eigens im Stil der Jahrhundertwende gefertigte Vitrine gibt dem treuherzigen Betrachter einen Zeitrahmen vor, den dieser folgsam auf das dargebotene Objekt überträgt.


flutsch04.jpg (38823 Byte)

stati01.jpg (40406 Byte)

guardi09.jpg (41255 Byte)


Wilson ist geprägt von der „Konzeptkunst“ der Siebziger Jahre, die sich als politisch versteht und nicht auf die Zulieferung für den Kunstbetrieb beschränkt. Er bezieht in „Environments“16, die er gestaltet, zuweilen das ganze Museum mit ein. Seinen Werken ist oft nicht zu trauen. Sie wirken über ihre unmittelbare Umgebung hinaus, stellen den ganzen Ort ihrer Aufstellung in Frage. Kann eine Ausstellung sich selbst in Frage stellen ? Läßt sich das Publikum zu einer kritischen Haltung anregen ? Wirken die Denkanstöße ? Wird die absichtlich erkennbare, nicht mehr unterschwellige Inszenierung mit ihren Verfremdungseffekten und merklichen Mißtönen als störend empfunden ?


guardi05.jpg (39053 Byte)

stati03.jpg (40106 Byte)

flutsch10.jpg (39313 Byte)


Wilson versündigt sich barbarisch an der überkommenen Grammatik des Ausstellungswesens, vernachlässigt die saubere, klare Gliederung, die nach klassischer Regel gestaffelte Ordnung. Er mischt wohlgesetzte Hochsprache und groben Dialekt, stellt festlich Gestimmtes und alltäglich Niedriges in ungehöriger Weise nebeneinander. Der Zuschauer wird unmittelbar angesprochen, aufgefordert, sich ein eigenes Urteil zu bilden. Er muß sich in acht nehmen, kann sich nirgends auf die vertraute Museumsliturgie verlassen. Der Kunstgenuß wird nicht getrübt, wenn es gelingt, sich über das Dargebotene eine eigene Meinung zu bilden. An Stelle der frommen Kunstübung ist selbständige Auseinandersetzung verlangt. Auf eigene Faust ist Neues zu entdecken, ästhetisch zu bewerten, anzulehnen oder lieb zu gewinnen.


mike05.jpg (40493 Byte)

mike06.jpg (41530 Byte)

mike08.jpg (39407 Byte)


Fred Wilson hat in venezianischen Andenkenläden als gehobene Urlaubsmitbringsel gedachte, glanzlackierte, schwarzfunkelnde Spottgestalten ausgemacht. Sie werden ironisch umgedeutet. Statt silberner Tabletts für Konfekt oder Visitenkarten halten sie Schläuche von Schneidbrennern und Feuerlöschern. Wilson entdeckt todfinster funkelnde Zerrbilder afrikanischer Menschen in den Werkstätten der Glasbläserinsel Murano. Geschickt, in beliebiger Stückzahl ziehen die Glasbildhauer die zuerst zäh triefende, drücken und kneten später die weich schmiegsame Masse. Die Kunsthandwerker formen gefragte Modeartikel aus pechig tropfendem, feuerflüssigem Glas. Serienweise entstehen geheimnisvoll schillernde Gestalten. Die gleichförmig wiederholten Gesichter funkeln in tiefgründigem Kohlrabenschwarz. Hauchfeine Vergoldung veredelt das geschickte Gefältel.


frau08.jpg (39788 Byte)

waitress03.jpg (40144 Byte)

frau05.jpg (41800 Byte)


Die schwarzen Skulpturen Fred Wilsons stemmen, halten, stützen und tragen. Sie bieten demütig dar, überreichen unterwürfig. Weißgipserne Büsten unnahbarer heldenhafter, makellos schöner Gottheiten werden dienerisch hochgereckt. Untadelig makellos blütenreine Lasten werden hochgehalten. Dunkelhäutige Randfiguren erweisen sich als hilfreich. Ein Bezug zur gegenwärtig hervorragenden Stellung bestimmter „staatstragender“ Afroamerikanern ist denkbar. Fred Wilsons kritische Anmerkungen zur „dienenden Rolle“ der venezianischen Mohren mahnen, den Beitrag aus Afrika stammender Menschen zur europäischen wie amerikanischen Kultur nicht gering zu schätzen. Widerwillig, gewaltsam genötigt, gemein ausgebeutet steuern sie nicht nur zwangsweise Wesentliches zum großen Fortschritt bei. Wenn es gelingt, diesen Menschen Aufmerksamkeit zu verschaffen, werden Einschränkungen der eigenen Wahrnehmung bewußt. Fehlstellen zeigen sich. Verluste sind zu beklagen. Die Neugier und Bereitschaft zu neuen Begegnungen mit dem Fremden wächst.

frau.jpg (37562 Byte)

leuchter09.jpg (39052 Byte)

leuchter07.jpg (40504 Byte)


weiter



1Katalog Fred Wilson, Biennale, Pavillon der Vereinigten Staaten, Speak of Me as I Am, Venedig, 2003, S. 22

2Katalog Fred Wilson, a.a.O., S. 9

3Katalog Fred Wilson, a.a.O., S. 10

4Katalog Fred Wilson, a.a.O., S. 11

5Katalog Fred Wilson, a.a.O., S. 12

6Katalog Fred Wilson, a.a.O., S. 17

7 Christian Kravagna (Hrsg.), Das Museum als Arena, Köln 2001, S. 122

8Kravagna, a.a.O., S. 121

9Katalog Fred Wilson, Biennale, Pavillon der Vereinigten Staaten, Speak of Me as I Am, Venedig, 2003, S. 20

10Walter Dadek, Das Filmmedium, Zur Begründung einer allgemeinen Filmtheorie, München 1968, S. 64 ff.

11Kravagna, a.a.O., S. 119

12Kravagna, a.a.O., S. 124

13Katalog Fred Wilson, a.a.O., S. 22

14Christian Kravagna (Hrsg.), Das Museum als Arena, Köln 2001

15Kravagna, a.a.O., S. 120

16Kravagna, a.a.O., S. 127