Kunstgeschichte in ihrer Zeit
Hans Sedlmayr
- 1. Orientarmee
- 2. Zwischen den Kriegen
- 3. Große Zeit
- 4. Gewinn durch Verlust
- Der österreichische
Kunsthistoriker Hans Sedlmayr wird als Sohn des Dr. h.c. Ernst Conrad Sedlmayr am 18. 1.
1896 in Szasokö im Komitat Sopron in Ungarn geboren. Der
Vater ist für sieben Jahre lang Zentralgüterdirektor
der Gräflich Mailathschen Domäne1, später
Hofrat und Professor für Betriebswirtschaftslehre an der
Hochschule für Bodenkultur in Wien. Der Geburtsort
heißt heute Hornstein und liegt im Burgenland in
der Nähe von Oedenburg an der
österreichisch-ungarischen Grenze. Dort und - ab 1900 -
in Dolnji Miholjac an der unteren Drau
verbringt der Junge die ersten zehn Jahre seines
Lebens. Man lebt herrschaftlich, führt ein Leben unter Fremden. Dieses ,wir und
sie2 wird zum ersten Mal auf dem riesigen Gutsbesitz in Slawonien
empfunden. Unsere
Dienstmädeln3 stehen
zur Verfügung. Der livrierte
Diener des Herrn Grafen überbringt ein paar Fasane von
der Jagd. Kutschfahrten führen nach Fünfkirchen oder
Mohacs. 4 Der Junge absolviert die Volksschule
privat. Er fühlt, daß eine neue Zeit kommt und
daß wir nicht mehr lange in Miholjac sein werden. 5
-
- Hans lernt in der
häuslichen Umgebung, das Beste an
eines Mannes Besitz seien die Gewehre und die
Sättel.6 Er spielt mit Bleisoldaten
7, die für ihn
das Urbild des Militärischen8 verkörpern. Bleisoldaten sind besser, als
solche aus Holz, Zinn, oder Pappe. Bei ihnen findet er
die in seiner Familie angestrebten Ideale des
wirklichen Soldatentums : Gleichmäßigkeit und Glanz der
Uniformen, die Genauigkeit ihrer Haltungen, das
untadelige ihrer Paraden und Defilierungen. Noch
als Achtundvierzigjähriger, der an der Ostfront im Felde
steht, schreibt er, diese Eigenschaften seien den kleinen
Bleifigürchen angeboren.9 Er träumt nachts vom Kampf Prinz Eugens
gegen die Janitscharen Denn d e r Feind, der
eigentliche Feind sind die Türken, und der Marsch aller
Märsche ist das Lied vom Prinz Eugen.10
-
- Noch in der Phantasie des erwachsenen
Mannes erwacht diese große Armee zu neuen Taten
und steigt aus den Grüften empor, 'den Kaiser, den
Kaiser zu schützen'.11 Unter dem Kriegsspielzeug des Buben Hans
finden sich vier Batterien Artillerie, die Rohre
aus mattgoldener Bronze, die Fahrkanoniere mit den kurzen
Peitschen in der Hand. In der Erinnerung wird sein
Gemüt von der gleichen sonderbaren Erregung ergriffen,
die im Schlagen einer Trommel und im scharfen
Schall der Trompete ruft. Die Schlacht zwischen den
aus Blei gegossenen Russen und Japanern ist in der
wehmütigen Rückschau zum Rand voll mit
Kampf. Die Faszination des martialischen
Schauspiels ist ungebrochen : Die Soldaten waren
erstarrt im Kampf, sie kannten nur die Schlacht.12
-
- Die Berufung des Vaters in die Hauptstadt 1907
ermöglicht dem Sohn den Besuch des Staatsgymnasiums in
Wien-Döbling, wo er 1915 die
Kriegsmatura ablegt. Am 27.2.1915
verpflichtet sich Sedlmayr als Einjährig Freiwilliger
auf eigene Kosten zur Ersatzbatterie des
Feldkanonenregimentes Nr. 6 in Wiener Neustadt auf ein
Jahr im Prüfungsdienst und elf Jahre in Reserve.
Während dem Defiliermarsch seiner Truppe, der Artillerie
erinnert er sich seiner geliebten Spielzeugkanonen und
beschließt bei seinen Klängen, als Zugsführer des
ersten Zuges der ersten Batterie seines Regimentes nach
dem siegreichen Frieden in Wien einzuziehen.13 Im März wird er zur aktiven Dienstleistung
präsentiert und zum Kanonier befördert. Im August
avanciert er wunschgemäß zum Korporal als Zugsführer.
Im Februar des nächsten Jahres wird er zum Kadetten, im
März zum Fähnrich der Reserve ernannt. Im August wird
ihm die bronzene, im September die silberne
Tapferkeitsmedaille für hervorragendes Verhalten vor dem
Feinde verliehen.
-
- Er ist seit dem 1. November 1915
ununterbrochen im Felde. Er kämpft in Wolhynien und
Galizien.14 Er lernt Wilhelm Pinders Werk über den
deutschen Barock im Schützengraben des Ersten
Weltkriegs kennen. 15 Im Gefechte bei Tarnawka hat er als
Aufklärer rechtzeitig auf feindliche Kosakenabteilungen
hingewiesen und nach der Abwehr ihres Angriffes zwei
Kilometer vor der eigenen Front aufgeklärt. Als
Artilleriebeobachter hat er die Wirkung der eigenen
Geschütze zu beobachten und die Richtigkeit der
gewählten Schußbahnen zu überprüfen.16
Bei Lahadow im feindlichen Trommelfeuer, im dichtesten
Beschusse, während mehrere Brände lodern, veranlasst er
als Verbindungsoffizier zwischen einer Infanteriebrigade
und der Artillerie die dringendst benötigte
Artilleriewirkung. Er durchschreitet die Kernzone
des Sperrfeuers, läuft durch einen schwer beschossenen
Wald und erfüllt in hervorragend tapferer Art seine
Aufgabe.
-
- Sedlmayr wird im Januar 1917 als
Reserveleutnant zum Divisionsstab versetzt. Er erhält im März den Marschbefehl nach
Konstantinopel. Die Türkei stellt ein Aufmarschgebiet
dar, in dem versucht werden soll, England in Mesopotamien
und Ägypten zu bedrohen. Man will starke feindliche
Kräfte binden. Man hofft, durch die Türkei die
mohammedanische Welt zum heiligen Krieg gegen
das britische Weltreich bewegen zu können. Schon zu
Beginn des Jahres 1916 wird ein Vorstoß gegen den
Suez-Kanal erwogen. Durch eine rasche, handstreichartige
Unternehmung will man sich in den vorübergehenden Besitz
eines Kanalübergangs setzen und diesen solange halten,
bis es gelungen ist, den Kanal durch einen Damm aus
Sandsäcken nachhaltig zu sperren. Man glaubt, die
Sandsäcke könnten nicht durch Baggermaschinen entfernt
werden, sondern müßten einzeln gefischt und
herausgezogen werden.

- Transport eines Pontonbootes
durch Jerusalem
-

- Aus den k.u.k.
Gebirgsartillerieregimentern No. 4 und 6 wird für den
aktiven Kampfeinsatz in Palästina und an der Suez-Kanal
Front eine Gebirgshaubitzdivision, nach ihrem
Kommandanten, Major Adolf Marno von Eichenhorst benannt,
die "k.u.k. Gebirgshaubitzdivision v. Marno",
gebildet, die ab dem Sommer 1916 bis zum Kriegsende 1918
sämtliche Kämpfe in Palästina mitmacht. 17 18 Großes
Augenmerk wird auf die moralische Haltung und Erscheinung
der Elitetruppe gelegt. Man muß annehmen, daß alle
Formationen unter Umständen für längere Zeit,völlig
auf sich allein gestellt sind. Deshalb wird eine strenge
Auswahl getroffen. Offiziere müssen neben den im Dienst
gebräuchlichen Sprachen mindestens französisch in Wort
und Schrift beherrschen. Man versucht "innere"
Ablehnungsgründe für einen derart exotischen Einsatz zu
ermitteln. Letztlich trachtet man, daß
Abenteuernaturen, die sich nur schlecht in das Gefüge
einer geschlossenen Gruppe einzufügen verstehen, trotz
eventueller freiwilliger Meldungen unberücksichtigt
blieben.19
- Mit seinem vierundzwanzig Jahre
älteren Offiziersdiener reist der Artillerist Sedlmayr
mit dem Balkanzug in die Türkei. Zur Österreichischen
Orientarmee abkommandiert, macht er die Bekanntschaft mit
den historischen Baudenkmälern der Levante.20
Er sieht die große byzantinische Architektur
Konstantinopels. Die Residenzstadt kündet von ihrer
höchsten Blüte, die sie unter Justinian erlebte. Er
ließ die bei einem Aufstand großenteils eingeäscherte
Metropole glänzend wiederherstellen und an der Stelle
der Basilika Konstantins die Sophienkirche erbauen. Der
Prachtbau zeugt von der Absicht, alle Bauten des
Altertums zu übertreffen. Zahlreiche Säulen aus alten
Tempeln Kleinasiens, Griechenlands und Italiens wurden
herbeigebracht und die edelsten Marmorsorten und Metalle
verwandt. Aus der spätgriechischen und römischen Kultur
erwächst die byzantinische. Weitere prägende Erlebnisse
sind die Begegnung mit der antiken und islamischen
Baukunst in Syrien und Palästina, in Damaskus und
Jerusalem. Sedlmayr beschließt Architekt zu werden.

- Umschlagillustration
einer Kunstdruckmappe des k.k. Kriegsfürsorgeamtes
- Zahlreiche türkische, deutsche und
österreichisch - ungarische Offiziere und Mannschaften
erkranken und müssen zur Genesung in das Innere des
Landes geschickt werden. 21 Sedlmayr infiziert sich an Gelbsucht und
Malaria, verbringt längere Zeit im Lazarett in Damaskus.
Die Stadt ist Knotenpunkt mehrerer Handelswege nach
Aleppo, Bagdad, Beirut, und Haifa. Sie liegt anmutig am
Fuß des Antilibanon inmitten ausgedehnter Gartenhaine,
die vom Nahr Baradá mit seinen sieben Armen und
zahllosen Kanälen bewässert werden. Sie sind reich an
Getreide, Gemüse und Obst und reichen sich weit bis an
den Rand der Syrischen Wüste. Dem Araber, der sich
nach dem Koran das Paradies als Obstgarten vorstellt,
erschien die Umgebung von Damaskus seit alters als ein
Abglanz des Paradieses.22
Damaskus erlebt seine Blüte als Residenz des
omayyadischen Reiches in der Zeit von 661 bis 750. Ein
Zeuge dieser Zeit ist die sogenannte Omayyaden-Moschee.
Sie wurde auf dem Gelände eines römischen
Jupitertempels, der im vierten Jahrhundert einer
christlichen Johanneskirche gewichen war, errichtet.
Kaiser Theodosius I. ließ sie als dreischiffige
Säulenbasilika anlegen. Dreihundert Jahre später
erfolgte unter dem Kalifen Welid der Umbau zur heutigen
Moschee. Der sogenannte Triumphbogen am Eingang gehörte
zur Säulenhalle des antiken Tempels. Der große
rechteckige Moscheehof wird an drei Seiten von
zweigeschossigen Arkaden byzantinischen Stils umgeben.
Das Innere der Moschee bildet ein gestrecktes Rechteck
mit drei Langschiffen, die von zwei Reihen korinthischer
Säulen geschieden werden. Es zeigt noch die Form der
altchristlichen Basilika. In der Mitte das Querschiff mit
der 'Adlerkuppel', die auf einem achteckigen Unterbau
ruht. Das marmorne Kuppelgebäude im östlichen mittleren
Langschiff steht über dem Haupt Johannes' des Täufers.
Das nahe gelegene Nationalmuseum birgt bedeutende
Grabungsfunde altorientalischer, antiker, byzantinischer
und islamischer Kunst.

- In der ersten Hälfte des Jahres 1917
wird in Damaskus eine Planaufnahme
durchgeführt. Im Auftrag der Etappenleitung wird zuerst
die islamische Altstadt systematisch von deutschem
Militär vermessen.23 Vom Oktober bis zum Juni 1918 werden die
Denkmäler und Baureste der griechisch-römischen und
byzantinischen Stadt kartographisch erfaßt. Unter der
lebendigen orientalischen Stadt sollen die Überreste
einer großen abendländischen Vergangenheit aufgespürt
und nachgewiesen werden. 24
Neben zeichnerischen und farbigen Skizzen werden hunderte
von Fotografien und Panoramaaufnahmen gefertigt. Die
Stadt samt ihren antiken Überresten wird aus
Aufklärungsflugzeugen abgelichtet. Für Leutnant
Sedlmayr wird ein älterer Freund zum Mentor
der neuentdeckten Kunst, zumal der Architektur.25 Der Archäologe und preussische Geheimrat
Theodor Wiegand steht als Hauptmann der
Landwehrartillerie zu dieser Zeit in Damaskus. Er leitet
ein deutsch-türkisches Denkmalschutzkommando und könnte
den jungen Offizier aus Wien mit der Architektur des
Nahen Osten vertraut gemacht haben. 26 27

Luftaufnahmen von Damaskus
samt Auswertung aus der Zeit des Ersten Weltkrieges
- Theodor
Wiegand räsoniert über einen Grundgedanken, der
Sedlmayr zeitlebens beschäftigen wird :
- Nie
ist mir der Unterschied zwischen Morgenland und
Abendland, zwischen europäischem Mittelalter zur Zeit
der Frühgotik und orientalischer Architektur deutlicher
geworden, als in dieser träumenden alten
Kreuzfahrerstadt, deren gewaltige Burgmauern von
ritterlich-stolzer Kraft reden, deren große Palastreste
trotz ihres Verfalls mit ihrer leichten, sicheren
Bogenarchitektur eine ganz andere Sprache reden als die
Werke der Araber mit ihren Überlieferungen aus
byzantinischen Zeiten. Tritt man gar in die wundervolle
große Kirche, die jetzt Moschee geworden ist, sieht man
die Einfachheit und Genialität der Raumverteilung, die
wohltuende weite Klarheit, dann begreift man garnicht,
daß es einmal eine Theorie gab, die den frühgotischen
Stil von orientalischen Eindrücken der Kreuzfahrer
ableiten wollte. Diese Kreuzfahrer waren den Arabern weit
überlegen, sie brachten eine völlig selbständige, klar
überlegte und durchgeistigte Bauweise mit sich, sowohl
im Festungsbau als im Kirchenbau.28
-
- Theodor
Wiegand scheint bewußt zu sein, welchen Luxus seine
Forschungen bei dieser Kriegslage bedeuten : Im Januar
1917 erfrieren schlecht gekleidete türkische Soldaten in
ihren Zelten29 Als ein Archäologe einen Geier schießt,
ist der Kadaver bald verschwunden, denn die
Arbeitssoldaten hatten ihn geholt und sofort zum Essen
zubereitet.30 Die
Soldaten selbst essen aus Hunger das rohe Getreide der
Kamele auf. 31 Bei der
Sektion einiger verstorbener türkischer Soldaten findet
man ungemahlene Getreidekörner in den Därmen, die vom
Futter der Tiere stammten.32 Es kommt zu einer Reihe von
Vergiftungsfällen, weil die vom Hunger gepeinigten
türkischen Soldaten Gras und Kräuter aßen, um sich den
Magen zu füllen, und dabei auch giftige Pflanzen
erwischten. 33 Wiegand klagt, die türkischen Soldaten
seien sämtlich unterernährt, mutlos, für
Anstrengungen nicht geeignet, und ergeben sich in
schwieriger Lage leicht. Neulich sieben Kompanien. 34Die Leute ergäben sich mit leerem
Magen, schlechten Kleidern, ohne Geld und mit türkischen
Offizieren, die kein Arabisch lernen wollen, weil sie die
Araber verachten.35
-
- Der
fränkische Freiherr Friedrich Sigmund Kreß von
Kressenstein erinnert sich tagtäglicher Zänkereien mit
den türkischen Bundesgenossen.36 Er berichtet über zahllose
Schwierigkeiten, die ihm bei jeder Gelegenheit entstehen,
während wir trotz hingebender Tätigkeit und trotz
der anstrengenden Arbeit, die wir ja auch im Interesse
der Türkei verrichteten, häufig recht schwere
Demütigungen im Interesse der großen Sache einstecken
mußten. Er schreibt über den Dienst als General
der Artillerie und Oberbefehlshaber der 8. türkischen
Armee : Sein Korps besteht aus drei arabischen
Divisionen. Die Mannschaften sind fast ausnahmslos Araber
und sprechen nur
- die
arabische Sprache, während die Offiziere in ihrer
überwiegenden Mehrzahl Türken sind, die kein Wort
Arabisch verstehen. Eine richtige Verständigung zwischen
Soldaten und Offizieren, zwischen Führern und
Mannschaften ist unmöglich.37 Er bemängelt bei den arabischen
Truppen, ihnen fehle ein Ideal, eine Idee, für die
sie kämpfen und sterben konnten.38
-

- Befestigung
des Halstuches als Nacken-
- schutz
an der Feldkappe
- Abbildung
aus einem Merkblatt des k.k.
- Kriegsminsteriums
-
- Auf
türkischer Seite besteht Mißstimmung darüber, daß die
fremdländischen Truppenteile zu hohe Anforderungen
stellen und so sehr viel besser und reichlicher verpflegt
werden als die türkischen Truppen. Kress findet es
menschlich durchaus verständlich, daß sich der
unter primitivsten Verhältnissen unter dem
Existenzminimum lebenden türkischen Offiziere und
Soldaten ein gewisses Gefühl des Neides bemächtigte,
wenn sie sahen, wie sehr viel besser für ihre deutschen
und österreichisch-ungarischen Kameraden gesorgt
wurde. 39 Die
türkischen Soldaten und Offiziere leben von sechshundert
Gramm Hartbrot und einer Handvoll Rosinen oder Datteln
oder Oliven am Tag40 Vor einem Marsch durch die Wüste werden
die Tornister zur Erleichterung der Leute an der
Grenze der Wüste zurückgelassen; die armen türkischen
Soldaten besaßen ja doch nichts, was sie im Tornister
hätten verpacken können.41
-
- Der
Führer der österreichisch-ungarischen
Gebirgshaubitzdivision ist der Hauptmann Ritter von
Truzschweski42. Er berichtet von
Schanzarbeiten, bei denen die armen türkischen
Soldaten, die zu einem großen Teil kein Stück Wäsche
mehr auf ihrem Leibe trugen, bei Nacht wieder einrissen,
was sie bei Tage gebaut hatten, um die Sandsäcke zu
stehlen. Es bedurfte ganz barbarischer Strafen, um diesem
Unfug ein Ende zu bereiten. Die Leute benützten die
Säcke, die von den Haushaltungen in Syrien und
Palästina geliefert und teilweise aus sehr guten Stoffen
gefertigt worden waren, als Unterwäsche, oder sie
kauften sich um einen Sandsack bei den Beduinen eine
Zigarette oder eine Orange. 43

- Der Vorstoß zum Suezkanal scheitert
an der mangelhaften Ausbildung und Disziplin
unserer Truppen.44 Ganze Verbände unter Führung ihrer
Offiziere gehen zu den Engländern über.45
Im März wird Bagdad durch die Briten erobert. Der Fall
der Kalifenstadt im Irak, einer der heiligen Städte des
Islams, wirkt wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Im Juni
trifft die zweigeschützige 10 cm Kanonenbatterie
Sedlmayrs in Gaza ein. Der junge Leutnant wird in der
dritten Schlacht bei Gaza als Zugskommandant verwendet.
Am 1. 11.1917 um 4 Uhr früh beginnt der britische
Großangriff auf die Hauptstellungen bei Gaza, wobei auch
die Schiffsartillerie massiv eingreift.46
Der einundzwanzigjährige Sedlmayr steht für sechs Tage47
mit seiner Batterie bis zur Rücknahme der gesamten
Verteidigungsfront auf die zweite, schon vorbereitete
Linie, die Rückhaltstellung Askalon-Medschdel im
schweren Feuer der englischen Land- und
Schiffsgeschütze, die wirkungsvolle
Brisanzgeschosse verschwenderisch verfeuern. Trotz
seines andauernden Fiebers hält er sich aufrecht und
wirkt selbständig. Er ist zu einem stark beschossenen
Seebeobachtungsstand eingeteilt und treibt englische und
französische Kreuzer sowie mit schweren Geschützen
bestückte flache Boote mit Geschick von der
Küste. Wiederholt müssen die Kanoniere zum Karabiner
greifen, um den zu Lande vordringenden Feind von den
Geschützen abzuhalten. 48
- Die Gründe für das militärische
Desaster sind vielfältig. Durch das schwere
Artilleriefeuer sind die Stellungen schon seit Tagen ohne
jeden Nachschub. Das Eingreifen der Schiffsartillerie
verursacht schwerste Verluste. Von österreichischer
Seite wird die mangelnde Koordination der türkischen
Artillerie bemängelt. Ausgemachte Signale würden nur
von den k. u. k. Batterien und wenigen türkischen
Geschützen eingehalten, der Rest schieße wann und wohin
er gerade wolle. Der türkische Artilleriekommandant,
Oberstleutnant Sabri, habe sich bitter beklagt, daß er
nur zu den k. u. k. Batterien funktionierende
Telephonleitungen benutzen konnte und die türkischen
Einheitskommandanten sich fast völlig seinen Anordnungen
entzogen hätten.49 Die Entente muß der Offensive des Generals
Allenby weichen, die zum Fall von Jaffa und Jerusalem
führt.

- Im Februar 1918 erhält der junge
Orientkämpfer Die Allerhöchst belobende
Anerkennung bei gleichzeitiger Verleihung der
Schwerter. Der Kommandant der Ersatzabteilung für
die 24cm Mörser-Batterie in der Türkei bescheinigt dem
intelligenten und sehr ambitionierten Offizier, er sei
im Gefechte sehr schneidig. Er erhält
Urlaub, muß aber bereits im Mai wieder nach
Konstantinopel abgehen. Da er seine Ausrüstung in der
Schlacht von Gaza an die Engländer verloren hat, wird
ihm ein Ausrüstungsbeitrag von 400 Kronen mit Bescheid
vom 29.4. als gebührlich zuerkannt. Am 4.
Oktober wird ihm das Eiserne Kreuz zweiter Klasse
verliehen. Im November 1918 haben fast alle
österreichisch-ungarischen Formationen, zum Teil nach
heftigen und verlustreichen Kämpfen an den Fronten und
unter Aufgabe großer Teile des Materials, den Raum von
Konstantinopel erreicht. 539 Soldaten von Sedlmayrs
Einheit sind gefallen.50 Anfänglich noch mögliche Transporte über
das Schwarze Meer machen für Teile der Formationen die
Heimkehr bei Kriegsende möglich. 51Sedlmayr
Militärische Dienstzeit endet am 11.11.1918. Sedlmayr
legt Wert auf die Feststellung, daß er bei der
Orientarmee mit fünf Tapferkeitsauszeichnungen dekoriert
wurde. 52 Im einzelnen führt er das Signum laudis
mit Schwertern, die kleine silberne Tapferkeitsmedaille,
die bronzene Tapferkeitsmedaille, Kaiser Karl
Truppenkreuz, das Eiserne Kreuz Zweiter Klasse aus dem
Ersten Weltkrieg sowie den Ottomanischen Eisernen
Halbmond aus dem Jahre 1917 an. 53
- 2. Zwischen den Kriegen
-
- 1Eva Frodl-Kraft, Hans
Sedlmayr (1896-1984), Bundesdenkmalamt ( Hrsg. ), Wiener
Jahrbuch für Kunstgeschichte, Bd. XLIV, Wien 1991, S. 9
- 2Sedlmayr, Das goldene
..., a.a.O., S. 176
- 3Sedlmayr, Das goldene
..., a.a.O., S. 126
- 4Hans Sedlmayr, Das
goldene Zeitalter, Eine Kindheit, München 1986, S. 9
- 5Sedlmayr, Das goldene
..., a.a.O., S. 171
- 6Sedlmayr, Das goldene
..., a.a.O., S. 83
- 7Sedlmayr, Das goldene
..., a.a.O., S. 114
- 8Sedlmayr, Das goldene
..., a.a.O., S. 114
- 9Sedlmayr, Das goldene
..., a.a.O., S. 114
- 10Sedlmayr, Das
goldene ..., a.a.O., S. 116
- 11Sedlmayr, Das
goldene ..., a.a.O., S. 114
- 12Sedlmayr, Das
goldene ..., a.a.O., S. 115
- 13Sedlmayr, Das
goldene ..., a.a.O., S. 116
- 14Österreichisches
Staatsarchiv, Bundesministerium für Unterricht,
Personenstandesblatt 2.8.1945
- 15Frodl, a.a.O., S. 11
- 16Hofrat Dr. Rainer Egger, Direktor des
Kriegsarchivs, Brief, Wien 3.2.200, S. 2
- 17Peter Jung, Die österreichisch-ungarischen
Formationen in der Türkei 1915-1918, Österreichische
Miltärgeschichte, 1995-Folge 2, Die k.u.k. Streitkräfte
im Ersten Weltkrieg 1914-1918, Wien 1995, S. 9
- 18Österreichisches
Staatsarchiv, Bundesministerium für Unterricht,
Personenstandesblatt 2.8.1945
- 19Jung, Formationen ..., a.a.O., S. 9
- 20Piel (Hrsg.), Sedlmayr ..., a.a.O., S.1
- 21von Kressenstein,
a.a.O., S. 194
- 22Karl Baedeker, Mittelmeer, Seewge, Hafenplätze,
Landausflüge, Leipzig 1934, S. 484
- 23Theodor Wiegand (Hrsg.), Wissenschaftliche
Veröffentlichungen des deutsch-türkischen
Denkmalsschutz-Kommandos, Heft 5, Damaskus, Die
islamische Stadt, von Karl Wulzinger und Carl Watzinger,
Berlin 1924, Vorwort
- 24Theodor Wiegand (Hrsg.), Wissenschaftliche
Veröffentlichungen des deutsch-türkischen
Denkmalsschutz-Kommandos, Heft 4, Damaskus, Die antike
Stadt, von Karl Wulzinger und Carl Watzinger, Berlin
1921, Vorwort
- 25Frodl, a.a.O., S. 10
- 26von Kressenstein,
a.a.O., S. 198
- 27von Kressenstein,
a.a.O., S. 198
- 28Wiegand, Halbmond
..., a.a.O., S. 253
- 29Theodor Wiegand,
Halbmond im letzten Viertel, Archäologische
Reiseberichte, Mainz 1985, S. 22
- 30Wiegand, Halbmond
..., a.a.O., S. 224
- 31Wiegand, Halbmond
..., a.a.O., S. 228
- 32Wiegand, Halbmond
..., a.a.O., S. 229
- 33von Kressenstein,
a.a.O., S. 205
- 34Wiegand, Halbmond
..., a.a.O., S. 228
- 35Wiegand, Halbmond
..., a.a.O., S. 229
- 36Theodor Wiegand, Sinai, Wissenschaftliche
Veröffentlichungen des deutsch-türkischen
Denkmalschutz-Kommandos, Heft 1, Berlin 1920, S. 2
- 37Wiegand, Sinai..., a.a.O., S. 12
- 38Wiegand, Sinai..., a.a.O., S. 13
- 39von Kressenstein,
a.a.O., S. 202
- 40von Kressenstein,
a.a.O., S. 86
- 41von Kressenstein,
a.a.O., S. 87
- 42von Kressenstein,
a.a.O., S. 227
- 43von Kressenstein,
a.a.O., S. 234
- 44Wiegand, Sinai..., a.a.O., S. 24
- 45Wiegand, Sinai..., a.a.O., S. 14
- 46Peter Jung, Der k.u.k. Wüstenkrieg,
Österreich-Ungarn im Vorderen Orient 1915-1918, Graz
1992, S. 110
- 47Joseph Pomiankowski, ehem. k.u.k.
Feldmarschalleutnant und Militärbevollmächtigter in der
Türkei, Der Zusammenbruch des Ottomanischen Reiches,
Erinnerungen an die Türkei aus der Zeit des Weltkrieges,
Wien 1928, S. 315
- 48Pomiankowski, Erinnerungen ..., a.a.O., S. 315
- 49Jung, Wüstenkrieg...., a.a.O., S. 112
- 50Jung, Wüstenkrieg...., a.a.O., S. 167
- 51Jung, Formationen..., a.a.O., S. 6
- 52Dilly, a.a.O., S.
283
- 53Österreichisches
Staatsarchiv, Bundesministerium für Unterricht,
Personenstandesblatt 2.8.1945