Kufi auf dem Bischofssitz

Die heutige " Basilica Concattedrale di San Pietro" im venezianischen Bezirk Castello steht auf der Insel Olivolo, die mit dem Rest der Stadt durch zwei hölzerne Brücken verbunden ist. Ein Vorgängerbau wird im siebten Jahrhundert errichtet und den byzantinischen Heiligen Sergius und Baccus geweiht. Hier ist von 775 bis 1451 der Sitz des Bischofs, der dem Patriarchat von Grado untersteht, weil die Lagunenstadt noch kein eigenes Bistum hat. Eine neue Kathedrale wird 841 von dem Bischof Orso Partecipazio dem Apostel Petrus geweiht. Der später heiliggesprochene Peter Urseolus wird im Jahre 976 an diesem Ort  zum Dogen gewählt. Der „Thron des heiligen Petrus“ wird vermutlich im 13. Jahrhundert zusammengestückelt.

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Islamische Schrift wird auf dem sagenhaften Bischofsstuhl des heiligen Petrus in Antiochien als Ausdruck der religiösen Würde begriffen. Die Segenssprüche, Koranverse oder ehrenden Worte von einem Grabstein können nicht gelesen werden. Aber ihre Form wird verstanden. Die Leistung des unbekannten Schreibers  wird geachtet, die Hingabe des Bildhauers geschätzt. Die islamische Schriftkunst ist eine eng mit dem Koran verknüpfte Kunstgattung. Die Schrift spielt beim Schmuck der Bauten und auf Erzeugnissen des Kunsthandwerks eine hervorragende Rolle.  Grundlage der islamischen  ist die 28  Buchstaben zählende, linksläufige arabische Konsonantenschrift. Ihre Lesung wird dadurch erschwert, daß dabei für 20 Buchstaben nur 9 Zeichen verwendet werden, die durch Punkte über und unter den Zeichen genauer bestimmt werden. 

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Die mohammedanische Schreibkunst, die Freude an der wohlgeordneten Schmuckform, am gestalterischen Erfindungsreichtum der fernen Kultur läßt sich nutzen für die Rückenlehne eines prunkvollen steinernen Sessels. Die ebenmäßigen Schriftzeichen, die vielfältigen in ihrer Symmetrie planvoll ausgeführten, feierlich geschwungenen Muster eignen sich als Zeichen gläubiger Hingabe für den christlichen Kirchenraum. In der Umgangsschrift und im altertümlichen. Kufi wird auf solche Punkte und Vokalzeichen verzichtet. Das Kufi, so genannt nach der Stadt Kufa, ist die in der Frühzeit des Islam für alle offiziellen Denkmäler verwendete lapidare Schriftform des Arabischen. In Kufi sind die große Inschrift im Felsendom zu Jerusalem, die Inschriften auf Münzen und auf Grabsteinen überliefert. Es ist auch der Duktus der auf Pergament geschriebenen frühen Korane. 

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Das zerbrochene, aus der Ferne beschaffte, erbeutete, geraubte Relief wird dennoch aufgefasst als  Zeugnis andächtiger Besinnung. Das Schriftband schmiegt sich in die Rundungen, wechselt rechtwinkelig die Richtung in den Ecken, bewältigt mühelos spitzwinkelige Flecken. Die Botschaft ist nicht zu entschlüsseln, aber die geschickte Anpassung an den abwechslungsreichen Untergrund ist zu bewundern. Nirgends bilden sich klaffende Leerstellen, öffnen sich ausgefallene, störende Zwischenräume. Ein ausgewogenes Verhältnis des geschriebenen Textes zur verbleibenden freien Fläche eint das Schönheitsempfinden fremder Völker. 

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Es darf kein wüstes Geschlinge entstehen. Die Zeichen sollen sich nicht verfangen, undurchschaubar verknoten, gedrängt ineinander pressen. Sie halten knappe Abstände, werden geläufig vorgetragen, entfalten den Zauber einer gewandten Rede, eines beherrschten, inhaltsschweren Gesanges. Im getragenen Tempo wandert das streng ausgerichtete,  sorgfältig geführte Schriftbild. Zentrale Aussagen werden vergrößert hervorgehoben, Bezirke durch gerundete Stege abgegrenzt. Die achtunggebietenden geometrischen Zierformen endigen in abgezirkeltem Rankenwerk. Die Buchstaben werden in breitem Strich eckig geführt. Ober- und Unterlängen sind wenig betont, um ein gleichförmiges Schriftband zu erreichen. Treten die Oberlängen stärker hervor, werden einzelne Buchstaben gedehnt oder auslaufende Buchstabenenden ebenfalls nach oben geführt, wodurch ein rhythmisch befriedigenderes Schriftbild erreicht wird. Seit dem 11. Jahrhundert werden die Oberlängen im Flecht-Kufi zu verschiedenartigen Knoten geschlungen, die die Fläche über der Schriftzeile füllen.

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Zwei Hexagramme unterschiedlicher Größe stellen sich übereinander, verbinden sich mittig durch einen Kreis. Niemand sieht in der fremden Schrift bedrohliche Gaunerzinken, verdächtiges Rotwelsch, geheime, teuflische Hexenspuren. Genügt die Legende vom Lehrstuhl des heiligen Petrus in Kleinasien, um der Gemeinde im ältesten Dom von Venedig ein undurchschaubares Schriftstück zu empfehlen ? Reicht christliche Phantasie aus, um maurische, arabeske Klänge zu überhören, oder gar in ein Zeugnis der Heidenmission umzudeuten ?

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Herrscht derartige Unkenntnis über den Islam, daß sein schriftliches Zeugnis völlig unbefangen geschätzt werden kann ? Eine lateinische Übersetzung des Koran unternimmt Petrus, der Abt von Cluny. Ein Exemplar steht in der Bibliotheca Marciana. Die Handreichung „für gelehrte Männer“ ist 1543 wohl in Basel gedruckt und noch sehr lückenhaft. Eine italienische Ausgabe, in der sich die Lehre des Mohammed, seine Lebensbeschreibung, seine Kleidervorschriften und Gesetze befinden, wird von Andrea Arrivabene vier Jahre später zu Venedig aufgelegt.

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